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„Eizellspende“ und Reproduktionspolitiken – Finissage in der Heinrich-Böll-Stiftung

veröffentlicht am 1. Juli 2022

In Spanien seit Ende der 1980er-Jahre erlaubt, In Deutschland (noch) verboten: die „Eizellspende“, die seit dem vergangenen Jahr einen Platz im Koalitionsvertrag der Ampelparteien hat. In der öffentlichen Diskussion kommt sie derzeit kaum vor – eine verpasste Chance, vor einem eventuellen Gesetzgebungsverfahren mit unterschiedlichen Positionen ins Gespräch zu kommen. Die Ausstellung in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung und insbesondere die Finissage mit Podiumsdiskussion näherte sich dem Thema „Eizellspende“ als Reproduktionstechnik (oder -medizin?) über ihre ökonomischen, ethischen und sozialen Bezüge. Ist sie ein Thema queerer Familienbildung?

Hormonbehandlung gehört zur Eizellspende dazu. Bild: Karolina Grabowska auf Pexels

Die Bandbreite des Themas ist groß; so wie die Fragen dahinter. Die übergeordnete Frage ist die nach reproduktiver Gerechtigkeit – und wie und in welchen Konstellationen wir uns in unserer Gesellschaft vorstellen können, als Familie zu leben.

Vorab: Schon der Begriff „Eizellspende“ bringt erhebliche Implikationen mit sich. Sind Begriffe wie „Eizell-Abgabe“ oder „Eizell-Transfer“ sinnvoller? Denn: Handelt es sich wirklich um eine Spende? Ist sie also „nur“ altruistisch? Ist das die ethisch vertretbarere Variante? Oder muss es eine Aufwandsentschädigung geben? Oder einen offiziellen Vertrag? Dann muss sich die Eizellspenderin auch beim Finanzamt “outen”, um die Einnahme zu versteuern. Ist dann der Briefumschlag mit dem Bargeld die bessere Variante? Oder: Ist es laut Vertragsrecht eine „Mangellieferung“, wenn das Kind nicht den Vorstellungen entspricht?

Recht und Medizin

Vorab informierte der Mediziner Taleo Stüwe über die aktuelle Rechtslage (Eizellspende nach Embryonenschutzgesetz verboten). Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, auch Spanien, in denen die Eizellspende nur anonym erfolgt, wäre Anonymität in Deutschland nicht möglich, da es hier das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung (bei der Samenspende) gibt.

Taleo Stüwe schilderte die medizinischen Abläufe einer Eizellspende. Hierbei wird die Eizelle der Spenderin mit Sperma künstlich befruchtet und dann der Empfängerin eingesetzt. In Deutschland müssen Spenderin und Empfängerin identisch sein, es dürfen einer Frau also nur eigene künstlich befruchtete Eizellen wieder eingesetzt werden, um eine „gespaltene Mutterschaft“ zu vermeiden. Die „gespaltene Vaterschaft“ wird im Gegensatz dazu bei einer Samenspende nicht thematisiert, ein Grund, das Verbot der Eizellenspende als diskriminierend zu bezeichnen.

Die Aufzählung der biologischen und medizinischen Unterschiede von Samen- und Eizellspende verdeutlichte, dass die Eizellspende (im Gegensatz zur Samenspende) medizinische Eingriffe erfordert, etwa eine Punktion unter Vollnarkose der Spenderin, und dass es auch für Empfängerin und Fötus Risiken geben kann, schlimmstenfalls das Hyperstimulationssyndrom durch zu starke Hormonbehandlung oder Blutdruckprobleme beim Fötus. Zu Langzeitfolgen gibt es derzeit keine aussagekräftigen Studien.

In der Podiumsdiskussion standen die Themen Ökonomie und Selektion der Spender*innen sowie soziale Aspekte im Mittelpunkt. Teilnehmerinnen der Diskussion waren Ines Pietschmann, Universität Göttingen, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, die die Legalisierung der Eizellspende befürwortete und für die Gegenansicht Dr. Susanne Schultz, Goethe-Universität Frankfurt, Schwerpunkt Biotechnologie, Natur und Gesellschaft.

Geld verdienen und Gutes tun?

Den Auftakt bildete der Blick auf gesellschaftliche Strukturen: Die Eizellspende beruhe in aller Regel auf sozialer Ungleichheit bzw. Ausbeutung, die damit verbundene Industrie (Kliniken usw.) werde größer und verzeichne Gewinn- und Machtzuwächse. Unter dem Deckmantel der altruistischen Spende finde erhebliche Kommerzialisierung statt, und das aufgrund eines nicht risikolosen Eingriffs in den Körper einer Frau; ein patriarchaler Übergriff.

Andererseits – so die Argumentation der Vertreterin der Universität Göttingen – sei reiner Altruismus auch keine Lösung, immerhin ermögliche es die Eizellspenderin einer anderen Person, den Kinderwunsch zu erfüllen. Auch wenn „nicht schwanger sein“, keine Krankheit sei, beruhe ein unerfüllter Kinderwunsch oft auf einer Krankheit. Die Eizellspende könne in diesem Fall auch als Dienstleistung verstanden werden. Nicht nachvollziehbar sei, wieso die Kliniken mit Eizellspenden hohe Gewinne erzielten, während die einzelne Frau altruistisch handeln solle.

Best Practice in Deutschland

Wichtig sei, die Faktoren rund um die Eizellspende transparenter zu machen. Frauen seien gut aufgeklärt fähig, die Entscheidung über eine Eizellspende selbst zu treffen. Ihnen diese Entscheidung vorzuenthalten, sei nicht richtig. Vorstellbar sei, eine Art Best Practice in Deutschland zu gestalten. Damit vermeide man auch, dass Frauen zur Eizellspende in Länder führen, die, um eine hohe Anzahl von Eizellen zu erhalten, stark hormonell stimulierten, und die Frauen einem höheren Risiko aussetzten.

Verkaufsargument gesundes Kind?

Die Augenfarbe wird offenbar noch nicht abgefragt, aber einige Parameter sind mehr als fragwürdig:

Im Falle einer Legalisierung sei es daher problematisch, dass die Selektion der Spenderinnen den Wunsch nach einem gesunden Kind wecken könne, welche Angebotsdynamiken hier entstünden, sei völlig unklar. Es stelle sich die Frage, ob die Grenze auch weiter verschoben werde: Ist Farbenblindheit etwa schon ein Makel? Das könne einen gefährlichen Trend zum perfekten Kind hervorrufen bzw. verstärken. Vielen Empfängerinnen (und ihren Familien) sei eine „biologische Kontinuität“ wichtig, das Kind solle so aussehen wie die Wunscheltern, womit sich die Debatte in Richtung „Genetisierung“ verschiebe. Und Stichwort „biologische Kontinuität“: Ist im Hinblick darauf eine nicht-anonyme Spende überhaupt erwünscht?

Eizellspende – oder neue Familienformen leben?

„Queer Familiys“ standen nicht im Fokus:

Eine queere Debatte sei die Diskussion um die Eizellspende nicht unbedingt, sie gelte für alle. Vielleicht stelle sich für queere Familien und solche, die es werden wollen, eher als für andere die Frage, ob Reproduktionstechniken ihnen die Möglichkeit böten, eine „klassische“ Familienkonstellation zu leben – oder ob es die Möglichkeit gebe, diese zu überschreiten?

Die Familienfrage müsse immer wieder neu in unserer Gesellschaft ausgehandelt werden – soziale Elternschaft sei ein Stichwort, um neu zu definieren, wie, wann und mit wie vielen Erwachsenen und Kindern eine Familie gegründet werden kann, jenseits von biologischer oder genetischer Verwandtschaft.

Moderiert wurde die Veranstaltung vom 29. Juni 2022 von Dr. Antje Schrupp, Journalistin und Politologin. Die Keynote hielt Taleo Stüwe, Mediziner und Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk e.V. Zur Veranstaltung eingeladen hatte die Heinrich-Böll-Stiftung, Gunda Werner Institut.

PS: Diese redaktionelle Zusammenfassung der Veranstaltung wurde nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und kann nicht alle Details der etwa zweistündigen Podiumsdiskussion aufnehmen. Falls etwas versehentlich falsch dargestellt sein sollte, bitte ich ggf. um einen Hinweis. Vielen Dank.

Hier könnt Ihr die Diskussion nachverfolgen