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Distanz wahren – Wunsch erfüllen: Interview mit einem Samenspender

veröffentlicht am 21. November 2012

Martin ist Samenspender, und das nicht nur gelegentlich, sondern professionell. In seinem Buch ‘Der Samenspender Martin1973’ erzählt er amüsante, skurrile und nachdenkliche Episoden aus seinem Berufsleben.

Sperma macht’s möglich – Foto: © Andrey Zametalov – Fotolia.com

Viele lesbische Paare erfüllen sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Samenspende. Sei es von einem Freund oder Bekannten, einem Kontakt aus dem Internet oder einer Samenbank. Bei allen Wegen bleibt die Frage, wie die Zeugungsgeschichte kindgerecht vermittelt werden kann. Der Umgang mit diesem Themen nimmt in und außerhalb der Familie oft viel Raum ein.

Die ‘andere Seite’ wird dabei nur sehr selten thematisiert, vor allem, wenn es sich um eine geschäftliche Beziehung handelt. Martin1973 bietet – verpackt in unterhaltsame Kurzgeschichten – Einblicke in die emotionale Gemengelage eines Samenspenders. Grund genug für uns, in einem Interview noch einmal genauer nachzufragen.

Sie sprechen im Vorwort davon, mit Ihrem Buch ein Tabu zu brechen. Warum glauben Sie, ist das Thema „Samenspende“ nach wie vor ein heikles?

Die private Samenspende ist ja keine neue Erfindung zur Familiengründung, sondern sie gibt es schon lange. Nur wird darüber nicht gesprochen. Sobald es in unserer Gesellschaft um die Kinderwunscherfüllung geht, ist unsere Gesellschaft verklemmt und hat Hemmungen, darüber zu sprechen. Eine private Samenspende hat nichts mit sexuellen Handlungen zu tun, die Grundvoraussetzung einer Spende war immer die Bechermethode, was bei lesbischen Paaren immer so gewünscht und als selbstverständlich angesehen wird.

Regenbogenfamilien sind längst gesellschaftliche Realität. Trotzdem verweigern viele Samenbanken in Deutschland lesbischen Paaren die Insemination. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit diese diskriminierende Praxis aufhört?

Wir brauchen dringend eine europäische gesetzliche Regelung, die die Gleichstellung lesbischer Paare beim Kinderwunsch garantiert. Gerade lesbische Frauen werden mit der in Deutschland herrschenden Gesetzgebung kriminalisiert, indem ihnen ihr Kinderwunsch versagt wird und somit ein Schwangerschaftstourismus in unsere Nachbarländer erfolgt, der unbeschreiblich ist. Man bekommt langsam den Eindruck, dass Deutsche zum Sterben in die Schweiz müssen und um ihren Kinderwunsch erfüllt zu bekommen nach Dänemark oder Holland. So stelle ich mir ein vereintes Europa nicht vor. Zudem müsste gesetzlich geregelt werden, dass anonyme Spenden, bei denen das Kind niemals die Chance hat zu erfahren, woher es stammt, verboten werden. Im Gegenzug müsste Spendern die rechtliche Absicherung zugesichert werden, um nicht auf Unterhaltszahlungen verklagt zu werden.

Ein Kind mit Hilfe einer Samenspende zu zeugen, kann viele Gründe haben. Der Beweggrund der Frauen, die sich bei Ihnen melden, ist relativ klar. Worin liegt Ihre Motivation?

In meinen Anfangsjahren waren es ganz klar finanzielle Aspekte, daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht. Irgendwann beschäftigte ich mich immer mehr mit der Thematik des Kinderwunsches, wuchs in die  Materie hinein und empfand meine Tätigkeit als völlig normal.

In Ihren Erzählungen wird deutlich, dass Sie als professioneller Samenspender auch emotional verstrickt sein können. Nicht selten haben Sie zu Ihren Kundinnen über einen längeren Zeitraum Kontakt. Wie wichtig ist eine professionelle Distanz für Sie?

Die Distanz ist auf beiden Seiten wichtig. Gerade lesbische Paare suchen keinen Familienanschluss, sondern einen Spender, der ihnen zum Wunschkind verhilft und die Möglichkeit bietet, zu einem von der Familie gewünschten Zeitpunkt ein Gespräch mit dem Kind zu führen. Wenn ein Spender merkt, dass er emotional die Distanz nicht mehr wahren kann, sollte er aufhören. Das trifft auch auf meine Person zu, daher habe ich mit der Veröffentlichung meines Buches meine Spendertätigkeit auch eingestellt.

Wie sind die Rahmenbedingungen bei einer Samenspende von Ihnen?

Die Frage muss lauten, wie die Rahmenbedingungen waren, da ich ja nicht mehr tätig bin. Grundsätzlich entscheidet immer das Bauchgefühl bei der Entscheidung, mit wem man am “Projekt Baby” arbeitet. Ich hab nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich bevorzugt lesbische Paare als Empfängerinnen angenommen habe. Für mich als Spender war die Verwirklichung des Kinderwunsches bei lesbischen Paaren immer am Schönsten, da Absprachen weit mehr eingehalten werden als bei anderen Konstellationen. Lesbische Paare gehen beim Kinderwunsch rationell vor, überlegen ihre Schritte genau und verfolgen ihr Ziel konsequent. Zudem steht von vorne herein fest, dass die Zeugung “sexfrei” erfolgt. Beim Heranwachsen des Kindes gibt es bei lesbischen Paaren absolut keine Probleme, dem Kind wird von vornherein die Wahrheit gesagt. Das Kind wächst mit dem Wissen auf, dass ihre beiden Mamis sich so sehr ein Baby gewünscht haben und jemand Drittes dabei geholfen hat. Gibt es eine schönere Grundvoraussetzung für ein intaktes familiäres Aufwachsen des Kindes? Ich bin überzeugt, dass die Antwort “nein” lautet.

Viele Lesben und Schwule haben einen langen Weg bis zum Coming-Out. Wie offen gehen Sie mit Ihrer Tätigkeit um, die Sie in der „Grauzone der Gesellschaft“ verorten?

In meinem Familienkreis ging ich damit immer offen um. Dennoch habe ich das Buch unter meinem Pseudonym geschrieben, da ich natürlich auch meine eigene Familie schützen möchte. Als privater Samenspender steht man im Gefecht mit kirchlichen Organisationen, reproduktionsmedizinischen Einrichtungen und staatlichen Stellen. Der Einfluss dieser Organisationen sollte nicht unterschätzt werden…

Sie haben auch für Samenbanken gespendet, setzen aber vor allem auf private Samenspende. Was sind Ihrer Meinung nach die Vorteile bei einer privaten Spende?

Ich habe anfangs in meiner Jugendzeit an eine Samenbank gespendet, danach nur auf privater Ebene. Der Vorteil der privaten Spende ist, dass die Möglichkeit besteht, den Spender kennenzulernen. Dazu kommt der Vorteil, dass die Familie zu einem Zeitpunkt x  auf den Spender zugreifen kann, wenn ein Gespräch mit dem Kind gewünscht wird, aber auch dann, wenn nach einem Unfall oder Krankheit des Kindes eine Blut- oder Organspende benötigt wird. Nachteil der privaten Spende ist, dass man wirklich überlegt vorgehen muss, um das Risiko einer HIV- oder Hepatitis-Infektion zu minimieren, da bietet nur eine Samenbank 100 % Sicherheit.

Sie schildern in Ihrem Buch sehr eindrücklich die Begegnung mit einem Ihrer Spenderkinder. Bieten Sie grundsätzlich an, dass die Kinder Sie kennenlernen können? Falls ja, wird dieses Angebot häufig genutzt?

Ja, wenn dies von meinen Empfängerinnen gewünscht wurde, war ich immer bereit dazu. Ein Kind hat ein moralisches Recht darauf, zu wissen, von wem es abstammt. Als Frau kann man nicht abschätzen, ob man in 10 oder 15 Jahren ein Gespräch zwischen Spender und Kind wünscht, aber es ist gut, als Frau zu wissen, dass, wenn der Wunsch eines Gespräches da ist, der Spender dafür zur Verfügung steht.

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